Fast 180 Jahre ist es her, dass die Fotografie das Licht der Welt erblickte. Seit dem hat sich viel verändert. Der Mensch von heute ist umgeben von tausenden fotografischen Aufnahmen. Wo wir auch hinschauen – täglich prasseln nicht zuletzt dank Internet unzählige Bilder auf uns ein. Warum es sich gerade deshalb lohnt sich ergänzend zu dieser Bilderlawine Fotokunst zu Gemüte zu führen, wird klar, sobald man die Räume der Galerie Anzenberger in der ehemaligen Anker-Brotfabrik betritt.
Noch bis 31. Oktober werden hier im Rahmen der Ausstellung „handmade III“ einmal mehr die Grenzen der Fotografie ausgelotet. Und diese verlaufen weiter als unser Blick zunächst vermuten lässt. Zum Beispiel in die Vergangenheit. Konkret in eine Zeit als Platindruckverfahren und Cyanotypie als fotografische Verfahren noch für die Erzeugung von Portraitaufnahmen oder Naturstudien angewandt wurden. Beides Methoden, die in der Galerie mit Arbeiten von Yelena Zhavoronkova und Caroline Roberts einer näheren Betrachtung unterzogen werden können. Während für Zhavoronkova der Platinumdruck als Methode dient Fotografien direkt auf Papier zu drucken und damit für Laien die Illusion einer Zeichnung zu erzeugen, lädt Caroline Roberts mit ihren tiefblauen Aufnahmen von Gräsern und Farnen die Betrachter zum Rätseln ein. Die Lösung des blauen Rätsels erhält wer nachfragt oder Wikipedia bemüht. Sie liegt in einem um 1842 entwickelten fotografischen Edeldruckverfahren, bei dem aufgrund einer chemischen Reaktion von speziellen Eisenverbindungen mit (Sonnen)Licht cyanblaue Farbtöne entstehen.
Fotografien im Wechselspiel von Mensch und Natur
Ohne Erklärung unmöglich einer Fototechnik zuzuordnen, sind auch die Bilder von Rita Maas. Was auf den ersten Blick wie übermalte Fotografien wirkt, sind in Wirklichkeit die Ablichtungen von infolge diverser Klimabedingungen eines feuchten Kellers zerstörter Negative ehemaliger Food-Fotografien. Die Natur als „Komplizin“ der Künstlerin.
Die Natur als menschlicher Lebensraum wird hingegen von Katie Kalkstein thematisiert. Die Künstlerin zerstört und kreiert Fotografien indem sie in diese hineinnäht. Eine Methode, die auch die Österreicherin Sissi Farassed immer wieder für ihre Werke anwendet. In ihren jüngsten Arbeiten bestickt sie Bilder mit Pailletten oder lässt sie gar hinter einem Vorhang aus Lametta verschwinden.
Genau hinsehen muss man auch bei den Bildern von Jessa Fairbrother. Die britische interdisziplinär arbeitende Fotografin bestickt oder durchsticht ihre oftmals kleinformatigen Fotografien und erweitert so den Moment der Aufnahme um eine zeitliche und psychologische Komponente. Gesten und Verhaltensmuster werden für uns sichtbar in die Körper eingraviert.
Lauschen und kaufen
Großformatiges erwartet die Betrachter gegenüber mit den Aufnahmen von Roger Ballen. Der amerikanische Künstler fand in den 70er Jahren in Südafrika eine neue künstlerische Heimat. In der Galerie Anzenberger sind Teile des Bilderzyklus „Asylum of Birds“ zu sehen, in dem Ballen eine Gruppe von Menschen und Tieren in einer abgelegenen Hütte zu einem Gesamtkunstwerk orchestriert.
Wer mehr über seine Arbeitsweise wissen will hat am 6. November die Gelegenheit gegen ein gewisses Entgelt einem Vortrag des Künstlers zu lauschen. Begleitend zur Ausstellung liegt zudem eine Palette ungewöhnlicher Fotobücher auf. Darunter u.a. von Sissi Farassat gestaltete Unikate, in denen die Künstlerin einzelne Bilder bestickte. Also, auf jeden Fall Zeit nehmen, um richtig eintauchen zu können in die Vielfalt fotografischer Ausdrucksmöglichkeiten abseits dokumentarischer „seht wo und mit wem ich überall bin“-Selfie-Kultur.
Handmade III
Noch bis 31. Oktober 2016
Galerie Anzenberger
Anker Brotfabrik
Absberggasse 27
1100 Wien
Öffnungszeiten: Mi-Sa 13-18 Uhr
http://www.anzenbergergallery.com
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